Weltweit gibt es laut momentanem Kenntnisstand ca. 7.000 Sprachen. Das Spektrum reicht von lokalen Sprachen wie Xiri mit 190 Sprechern in Namibia bis Englisch der offiziellen Amtssprache dort mit weltweit über einer Milliarde Sprechern. Da kann es nicht schaden die ein oder zusätzliche Mundart parat zu haben. Am empfänglichsten dafür sind Babys und Kleinkinder. Aber nicht selten machen sich Eltern sorgen, ob ihr Kind mit dem Input einer bilingualen Erziehung zurechtkommen kann. Wir klären über den Prozess und positive wie negative Aspekte auf.
Wie Babys Sprachen lernen – die ersten 10 Monate
Babys werden als wahrhafte Weltbürger geboren. Von Geburt an besitzen sie die einzigartige Fähigkeit, die Laute aller Sprachen aufzunehmen und zu unterscheiden. Das Lernen fängt also schon lange vor dem ersten „Mama“ an. Sogar noch ein gutes Stück vor der Geburt, denn ungeborene, so ein Artikel der Uni Wien, nehmen bereits im Mutterleib die Sprachmelodien der Außenwelt wahr. [1] Ab der Geburt bleibt dann laut aktuellem Kenntnisstand ein Zeitfenster von etwa 10 Monaten, in dem das Kind offen für die Interpretation weltweiter Sprachklänge ist, berichtet Marianna Bromley von der kanadischen Sprachkompetenzorganisation NWTLC in einem Videobeitrag zu dem Thema.[2] Danach verengt der Fokus sich auf die zu Hause wahrgenommenen Laute. Alles nicht Genutzte wird aussortiert. Das bedeutet natürlich nicht, dass danach kein effektives Sprachenlernen mehr möglich ist. Vielmehr ist dies der optimale Zeitraum für einen natürlichen doppelten Spracherwerb.
Dann einfach vor den Fernseher – oder?
Jetzt mag der ein oder andere findige Elternteil auf die Idee kommen, sein Kind einfach mit Audiomaterial zu beschallen oder vor ein fremdsprachiges Fernsehprogramm zu setzen. Da müssen wir leider enttäuschen. Denn wie sich herausstellt, benötigen Babys einen aktiven menschlichen Ansprechpartner, um sich auf den Lernvorgang einzulassen. Bei kleinen Kindern, die eine Sprache in Referenz zur Muttersprache lernen, ist das etwas anderes, aber diese würde sich ohnehin in ihrer Qualität von einer zweiten Muttersprache unterscheiden. Besonders interessant ist hier die Erkenntnis, dass die Sprachenzentren frühkindlich erlernter Sprachen scheinbar im gleichen Hirnareal lokalisiert sind – später ergründete wiederum eher in getrennten Gebieten.[3]
Klare Linien sind essenziell
Vor allem für die ungezwungene und korrekte Artikulation ist die erste Phase (10 Monate) ein absoluter Kickstarter. Wichtig, damit das kleine Köpfchen nicht anfängt, eine Sprache wieder auszusortieren, ist, dass ein regelmäßiger, engagierter und im Wortschatz reichhaltiger Kontakt stattfindet. Das Bielefelder Institut für frühkindliche Entwicklung empfiehlt für eine klare Trennung der Sprachen, dass die Elternteile konsequent in ihrer jeweiligen Muttersprache mit dem Kind kommunizieren und zusätzlich eine Familiensprache festgelegt wird.[4] Interessanterweise wissen wir mittlerweile auch, dass der intuitiv spielerische Ton, in dem wir mit Babys reden, diese zur Interaktion anregt und somit extrem nützlich ist.
Gleichzeitig oder Schritt für Schritt?
Bisher haben wir vor allem die parallele Aneignung zweier Sprachen behandelt. Kinder, die so Lernen, werden auch als „simultan bilingual“ bezeichnet. Da das Kind hier von Geburt an mit zwei Sprachen konfrontiert wird, ist dieser Spracherwerb qualitativ am nächsten an dem eines einsprachigen Kindes dran. Trotzdem gibt es hier meist eine dominante Sprache.
Sukzessiv bilinguale Kinder lernen die Zweitsprache verzögert – meist ab dem Alter von etwa 3 Jahren z. B. mit dem Kita-Eintritt. Ein früherer oder späterer Einstieg in die Sprache kann bei dieser Gruppe einen enormen Unterschied bei der Lernkurve und Art des Lernens machen. Das liegt daran, dass sie den Höhepunkt der intuitiven Sprachaufnahmefähigkeit (im ersten Jahr) bereits überschritten haben. Je später das Kind mit der Sprache konfrontiert wird, desto „erwachsener“ muss sich diese angeeignet werden. Besonders aufnahmefähig für Sprachen ist das kindliche Gehirn bis zum 8. Lebensjahr.
Welche Nachteile hat Bilingualismus?
Es gibt einige Nachteile, die wir zum Teil schon angesprochen haben. Viele davon hängen jedoch stark von zeitlichen, sozialen und ökonomischen Faktoren ab.
-
Der Wortschatz in den einzelnen Sprachen ist für sich oft kleiner als bei einsprachigen Kindern
-
Eine sehr späte Einführung in die zweite Sprache kann zu Lernproblemen (z. B. in der Schule) führen
-
Dominiert eine Sprache in der Lernphase (z. B. im sozialen Umfeld) stark, so leidet die andere
-
Das Phänomen das ein Wort „auf der Zunge liegt“ kommt häufiger vor
Welche Vorteile gibt es?
Bilingualismus bringt so einige willkommene Vorteile mit sich. Neben den offensichtlichen wie
-
gesteigerten Jobchancen in der Zukunft
-
kulturellen Kenntnissen
-
mehr Möglichkeiten zu Reisen und in anderen Ländern zu leben
gibt es auch einige nicht so bekannte Vorteile wie zum Beispiel:
-
bessere Aufmerksamkeitssteuerung
-
potenzielle Mediatorfunktion zwischen den Kulturen
-
verlangsamter Eintritt von Demenzprozessen
-
größerer Zusammengesetzter Wortschatz
Fazit
Mit zwei Sprachen aufzuwachsen ist eine Bereicherung und nicht etwa ein Hindernis fürs Kind. Babys wie Kleinkinder saugen Sprachen nahezu in sich auf und mit der richtigen Taktik sollte der gleichzeitige oder sukzessive Erwerb zweier oder mehrerer Sprachen kein Problem, sondern ein großes Plus sein.
[1] Prof. Stefanie Höhl Wie Babys Sprache lernen (univie.ac.at) (letzter Zugriff: 12.01.2022, 12:13)
[2] Marianne Bromley (2015), How Children Learn Language, Link: https://youtu.be/Q6pzIu5xpAA?t=444
[3] E. Koudrjavtseva 14_Seminar_Zweisprachigkeit_Text.pdf (uni-greifswald.de) (letzter Zugriff: 12.01.2022, 13:40)
[4] Dr. Doreen Asbrock (2006) … Frühkindliche Zweisprachigkeit – Bielefelder Institut für frühkindliche Entwicklung, Diagnostik und Intervention e. V. (bielefelder-institut.de) (letzter Zugriff: 12.01.2022, 13:20)